Von Maren Richter |
Nun ist schon fast die Hälfte meiner Zeit auf Polarstern vorbei. Am 10.7. um 9 Uhr ist Polarstern mit 42 Besatzungsmitgliedern, 47 Wissenschaftlern, ihren technischen Geräten, Labormaterialien und Proviant aus Bremerhaven ausgelaufen. Ein Fernsehteam war da, neugierige Zuschauer haben im Bremerhavener Nieselregen gestanden und gewunken und wir wurden von zwei Schleppern und einem Lotsenboot aus der Wesermündung begleitet.
Ich bin zum ersten Mal für längere Zeit auf einem Forschungsschiff und war entsprechend aufgeregt mitfahren zu können. Wie wird das Zusammenleben auf so engem Raum? Wie wird es sein, dreieinhalb Wochen lang nicht einfach raus in den Park oder den Wald zu können, um mal allein zu sein oder sich zu bewegen? Werde ich alle meine Aufgaben gut ausführen können? Und ganz wichtig: Werde ich seekrank?

Dieses Satellitenbild zeigt die Eisscholle am Tag bevor die Verankerung aufgenommen wurde. Die Spur der Eisscholle ist mit türkisen Punkten und Kreuzen markiert. Sie hat sich in 11 Tagen von Punkt 1 zu Punkt 11 bewegt. Die Verankerung ist mit dem roten Punkt markiert. Satellitenbild von ESA, Sentinel-1 Mission, 20. Juli 2018.
An Bord bin ich Teil der CTD Wache. Die CTD misst Temperatur, Salzgehalt und Druck im Ozean, außerdem sind noch Flaschen kreisförmig an dem Gestell der CTD montiert mit denen man Wasserproben aus verschiedenen Tiefen holen kann. Dazu hält das Schiff an und die CTD wird an einer Winde über die Bordwand in den Ozean abgelassen, in manchen Fällen bis zum Meeresgrund. Sobald das Gerät wieder an Deck kommt warten andere Gruppen schon auf ihre Wasserproben und in den Laboren geht die Auswertung der gewonnenen Daten los. Neben der Schichtarbeit in der CTD Wache haben wir alle noch kleine Extraaufgaben. Ich bin dafür zuständig das Meereis im Blick zu behalten. Dazu habe ich schon vor der Fahrt Satellitenbilder bestellt, die täglich an Polarstern geschickt werden. Auf diesen kann man dann erkennen, ob an geplanten Stationen Meereis ist, ob es sich um eine geschlossene Eisdecke handelt oder ob es nur lose Schollen sind. Das ist wichtig um unsere Route zu planen und auch um zu wissen, ob und welche Arbeiten an bestimmten Stationen möglich sind. Ich schaue mir jetzt zwar schon fast zwei Wochen lang Bilder von Meereis an, habe bisher aber noch nie echtes Meereis gesehen. Jetzt muss ich aber noch kurz erklären warum mein Titel streng genommen falsch ist. Man kann Eis, das auf dem Meer treibt, grob in zwei Kategorien einteilen: Eisberge und Eisschollen. Eisberge sind von Gletschern, z.B. in Grönland oder der Antarktis, abgebrochen und bestehen aus gefrorenem Süßwasser. Eisschollen sind gefrorenes Meerwasser (Meereis) und entstehen direkt an der Meeresoberfläche. Eisschollen sind im Allgemeinen sehr viel dünner als Eisberge. Das ist auch gut so, denn auch ein Eisbrecher wie Polarstern kann keine Eisberge zerbrechen und wir wollen auf keinen Fall enden wie die Titanic!
Gestern Nacht bin ich gegen 23 Uhr aus dem Schlaf geschreckt und konnte erst gar nicht zuordnen was passiert war. Später habe ich realisiert, unser Schiff war in den Teppich aus Eisschollen eingetaucht, die in der Framstraße nach Süden treiben. Statt des gleichmäßigen Schwankens, das mich bisher immer in den Schlaf gelullt hatte, waren nun gar keine Wellen mehr zu spüren. Stattdessen ruckelt, stockt und schwankt die Polarstern immer wenn wir eine Scholle vor unserem Bug zerdrücken.
Diese Schollen haben bei mir in den letzten Tagen für viel Arbeit und Aufregung gesorgt. Ich verfolge besonders große Schollen auf den Satellitenbildern um zu sehen wohin sie treiben. Denn wenn eine zu große Scholle über einer unserer Verankerungen liegt, können wir die Verankerung nicht aus dem Wasser ziehen. Und eine Scholle trieb direkt auf unsere nächste Station zu! Die Scholle ist ca. 10 km breit und 20 km lang, eindeutig zu groß um an der Station eine Verankerung bergen zu können. Sollen wir zuerst zu einer anderen Verankerung fahren? Warten, bis die Scholle vorbei gezogen ist? Hoffen, dass sie die Station der Verankerung doch knapp verfehlt, sodass wir die Verankerung am Ende doch bergen können? Am Tag an dem die Entscheidung fallen muss, ist die Scholle auf den Satelliten Bildern nur noch 3 Km von der Station entfernt. Was tun? Ich berechne noch einmal die Geschwindigkeit der Scholle und versuche ihre nächsten Bewegungen abzuschätzen. Wir entscheiden uns schließlich trotz der Scholle zur Station zu fahren und hoffen, dass die Scholle tatsächlich weitergetrieben ist, wenn wir dort ankommen. Um sicher zu gehen, planen wir verschiedene Alternativmöglichkeiten mit ein. Sollten wir nicht rechtzeitig neue Satellitenbilder bekommen, können wir das Eisradar des Schiffes nutzen um dicht an der Scholle ihre Größe abzuschätzen. Polarstern kann sich neben der Scholle hertreiben lassen und dadurch die Geschwindigkeit und Richtung der Scholle herausfinden. Ich lasse mir von einem der Offiziere auf der Brücke das Radarsystem erklären und es wird ausgemacht, dass ich, sobald wir an der Station ankommen, geweckt werde, um die Eissituation auf der Brücke mit zu verfolgen.

Die orangenen Bojen an der Verankerung sind zwischen den Eisschollen an die Wasseroberfläche gekommen, jetzt können sie an Bord gezogen werden. Foto: Christian Rohleder.
Dann kommen die neuen Satelliten Bilder. Erleichterung. Die Scholle ist schneller getrieben als erwartet und jetzt schon 20 Km weg von der Station. Wir können dort arbeiten und ich kann ausschlafen. Nach dem Frühstück ist es so weit, mit Hilfe des Eisradars erkennt der Kapitän eine Lücke zwischen zwei kleineren Eisschollen direkt über der Verankerung. Die Verankerung wird ausgelöst und kommt wenige Sekunden später genau dort hoch wo der Kapitän es erwartet hat! Die nächsten Schollen auf unserem Weg habe ich schon in meinen Karten markiert, um sie leichter zu verfolgen. Ich hoffe, dass wir weiterhin Glück haben. Jetzt, da die Verankerung sicher geborgen ist, habe ich endlich die Zeit die Schönheit des Meereises zu genießen und bin fasziniert von den unterschiedlichsten Formen und Farben. Alexander von Humboldt hatte auf seinen Expeditionen ein Cyanometer mit um die „Bläue“ des Himmels zu messen. Wir messen zwar nicht die verschiedenen Blautöne in denen das Eis schimmert, schön ist es aber trotzdem.
Zum Schluss noch eine Frage, die ich ganz oft gestellt bekommen habe: Schlaft ihr in Hängematten? Nein, auf Polarstern gibt es richtige Betten. Auch sonst ist alles sehr komfortabel. Meine Befürchtungen sind alle ausgeblieben. Ich vermisse es spazieren zu gehen, aber der Sportraum ist super, das Team ist nett und alle nehmen Rücksicht auf einander. Vor Allem: ich werde nicht seekrank! Zumindest nicht bei so niedrigen Wellen wie jetzt. Wenn das so bleibt, werde ich zurück an Land das Schaukeln ganz sicher vermissen. Und eigentlich wäre so eine Hängematte doch ganz schön!