Polar 5 ist mit den Wissenschaftlern Veit Helm und Angelika Humbert in Nord-Grönland unterwegs. Ausgehend von unserer Basis an Station Nord führen wir Messflüge über dem rund eine Flugstunde entfernt gelegenen 79°N Gletscher durch. Dieser Gletscher ist der größte der drei Auslassgletscher des großen Nordostgrönländischen Eisstroms und gleichzeitig einer der letzten drei schwimmenden Gletscherzunge Grönlands. Während der Sommermonate, hauptsächlich im Juli, schmilzt bereits heutzutage das Eis an der Gletscheroberfläche stark und es wird erwartet, dass sich dies in der Zukunft intensiviert.
Der Blick aus dem Fenster unseres Messflugzeuges bietet großartige Bilder – gewaltige Spaltenfelder, Flüsse und große Seen erstrahlen blau-türkisfarben und glitzern in der 24 Stunden lang scheinenden Sonne. In einigen dieser Spalten steht das Wasser bis zum Rand und die Seen mit teilweise gigantischen Ausmaßen von bis zu 21 km2 weisen Tiefen von einigen 10er Metern auf. Wenn der Flieger sich in die Kurve legt, dann sieht man in der schrägen Lage die nasse Oberfläche glitzern.

Schmelzwassersee in Nordost-Grönland (Foto: Angelika Humbert)
Wir wollen mit unserem Radarinstrument messen ob und wo es im Gletscher Abflusskanäle gibt, die das Schmelzwasser von der Oberfläche durch das Eis mit Dicken von bis zu 1000m unter den Gletscher führen. Mittels Satellitenfernerkundung haben wir festgestellt, dass diese Seen in sehr kurzer Zeit, d.h. weniger als 24h leer laufen (drainieren), aber wir wissen nicht wie sie das tun. Dazu verwenden wir ein Radarsystem, dessen Wellen bis an die Gletscherbasis dringen. Auf ihrem Weg durch das Eis werden die Wellen nicht nur an der Gletscherunterseite reflektiert werden, sondern auch von Rissen, Spalten und Kanälen im Eis. Bei der Drainage von supraglazialen Seen bilden sich sogenannte englaziale Kanäle, durch die das Wasser an die Gletscherbasis gelangt. Wie lange das Wasser in den Kanälen gespeichert wird, ist bisher unbekannt. Daher sind wir sozusagen auf der Jagd nach frisch gebildeten englazialen Kanälen und erhoffen uns mit vielen Profilen über solche Stellen eine 3D Geometrie eines Netzwerks von Kanälen zu erhalten. Ebenso interessiert uns, ob noch Überbleibsel älterer Kanäle aus dem Vorjahr zu finden sind. Mit großer Spannung haben wir auf die ersten Ergebnisse der Radarmessungen, die sogenannte Quicklooks gewartet, und ja, wir haben von einem großen Drainageereignis in 2020 noch Strukturen im Eis gefunden! Heute haben wir von zu Hause die Info bekommen, dass ein weiterer See drainiert ist, den wir nun mit dem nächsten Flug messen werden. Auch wenn wir nur zu zweit diese Kampagne durchführen, so schauen wir doch mit sehr unterschiedlichem Blickwinkeln auf die Messergebnisse. Gerade die enge Verzahnung zwischen Beobachtung und Modellierung wird gebraucht, um dieses komplexe System zu verstehen. Das hier ist alles erst der Anfang, denn früher oder später muss aus diesen Beobachtungen ein Modell entstehen, dass es uns erlaubt solche Ereignisse zu simulieren. Das Modell wiederum wird benötigt um die Ereignisse selber sowie deren Auswirkung auf die gesamte Gletscherdynamik zu verstehen.
Für die Crew von Polar 5 sind unsere Flugmuster eine echte Herausforderung. Einerseits wollen wir entlang von Fließlinien des Gletschers in konstanter Höhe über Grund fliegen.
weil wir so zusätzlich genau die Rauigkeit am Boden messen, die der Gletscher auch erfährt. An anderen Stellen wollen wir sehr genau über auffällige Strukturen fliegen, die wir bisher nicht verstanden haben, oder wollen Fluglinien von 2018 exakt wiederholen, um Veränderung quantifizieren zu können. Das bedeutet für die Piloten genauen Kurs und Höhe halten und über vier Stunden im Messgebiet permanente Höchstleistung. Was uns besonders beeindruckt ist, wie sehr die Piloten Dean Emberly und Marc-André Vernier versuchen auch das Unmögliche möglich zu machen und wie viel Geduld der Flugzeugmechaniker Luke Cirtwell aufbringt, wenn wir den x-ten Test der Instrumente am Boden machen wollen.
Die verblüffendste Erfahrung ist für uns, dass wir zum ersten Mal bei einer Expedition nicht frieren. Die Lufttemperatur in der Flughöhe beträgt aktuell 15°C, die Elektronik produziert warme Abluft und zusammen mit der Sonneneinstrahlung ist es richtig warm im Flieger – Flugkampagnen über Gletschern in T-Shirts kannten wir bisher nicht!