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In Nacht und Eis

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… ist der deutsche Titel des packenden Reiseberichts von Fridtjof Nansen über seine Arktisexpedition von 1893 bis 1896. Viel hat sich seither in der Polarforschung geändert, so dass unser Leben hier und heute sich weitaus angenehmer darstellt, als das jener Pioniere der Polarforschung. An der Präsenz von Nacht und Eis selbst hat sich jedoch nichts geändert, und so erinnert mich der Titel auch immer an unsere ersten Fahrten auf das Meereis während der Polarnacht.

Der Vollmond über dem Meereis (Foto: Paul Ockenfuss)

Ich bin Paul, der Meteorologe im 41. Überwinterungsteam auf der Neumayer Station. Zu meinen alltäglichen Aufgaben gehören unter anderem Wetterbeobachtungen, Wetterballons und das Sammeln zahlreicher Wetterdaten. Wie alle hier übernehme ich aber auch Aufgaben außerhalb meines Fachbereichs, und dazu gehört bei mir im Winter die Organisation und Durchführung der wissenschaftlichen Aktivitäten auf dem Meereis. Seit 2010 wird hier im Rahmen des Forschungsprogramm AFIN (Antarctic Fast Ice Network) die Entwicklung des Meereis auf der Atka-Bucht untersucht. Dazu gehören unter anderem Eisbohrungen, elektromagnetische Messungen und das Ausbringen von Bojen, d.h. autonomen Messstationen, auf dem Meereis. Die Saison hierfür beginnt üblicherweise ab April. Anhand von Satellitenbildern wird die Eissituation schon im Voraus über mehrere Wochen beobachtet. Erweist sie sich in diesem Zeitraum als hinreichend statisch, beginnen bei uns vor Ort die Vorbereitungen.

Meereisfahrten sind immer Teamleistungen. Zeichnet sich ein passendes Wetterfenster ab, beginne ich in der Fahrzeughalle die Schlitten zu beladen. Wir benötigen Schaufeln, Bohrer, Werkzeuge, Probengefäße, Thermometer, Maßbänder und Protokolle für die Messung, aber auch eine Menge an Ausrüstung für den Notfall wie zum Beispiel Ersatzkleidung oder Zelte. Die Stationsingenieure bereiten die Fahrzeuge und die Trasse in Richtung Meereis vor. Mit Theresa, unserer Funkerin, kläre ich die Kommunikation, mit Peter, unserem Stationsleiter, spreche ich das Sicherheitskonzept für die Fahrt ab.  Üblicherweise fahren wir mit vierköpfigen Teams auf das Eis, sechs Leute verbleiben in der Station. Das bedeutet, dass ein Teil unserer täglichen Routinearbeiten von anderen Teammitgliedern übernommen werden muss.

Am Morgen des Meereistages treffen wir uns nach dem Frühstück zum Anziehen der Polarkleidung.  Letzte Gepäckstücke werden auf den Schlitten verstaut, dann geht es hinaus in die Polarnacht. Zehn  Kilometer sind es von der Station bis zu der natürlich angewehten Rampe, über welche wir vom Schelfeis auf das Meereis hinabfahren. Hier betreten wir eine andere Welt. Im Vergleich zum Schelfeis ist die Oberfläche des Meereis deutlich vielfältiger. Völlig glatte Schneeflächen wechseln sich mit rauen Gebieten voller Schneewehen ab. Dies reicht bis hin zu kleinen Gebirgszügen mit Eisformationen von 1-2 m Höhe. Hier haben die Herbststürme die Eisschollen übereinander geschoben, bis diese in der klirrenden Kälte der Polarnacht erstarrt sind. Die Fahrten durch diese Landschaft gehören sicher zum Eindrücklichsten und Seltsamsten, was ich je erlebt habe. Die meiste Zeit des Tages ist es dunkel und das Eis wir nur von den Scheinwerfern unserer Motorschlitten erhellt. Schneeformationen tauchen im Scheinwerferlicht auf, ziehen vorbei und verschwinden hinter uns wieder. Lediglich um die Mittagszeit setzt am Horizont im Norden eine Dämmerung ein und taucht die umliegenden Eisbere in rötliches Licht.
Meine Mitfahrer und ich sind während der Fahrten alle von Kopf bis Fuß vermummt zum Schutz gegen die Kälte, nirgendwo darf auch nur das kleinste bisschen Haut herausragen. Über die Motorschlitten gebeugt und mit der Eiswüste im Hintergrund wirkt die Szenerie eher wie einem Science-Fiction Film entsprungen als wie ein Ort auf der Erde.

Das Meereis der AktaBucht zur Mittagszeit während der Polarnacht (Foto: Paul Ockenfuss)

Das Meereis der AktaBucht zur Mittagszeit während der Polarnacht (Foto: Paul Ockenfuss)

Arbeiten auf dem Meereis (Foto: Paul Ockenfuss)

Arbeiten auf dem Meereis (Foto: Paul Ockenfuss)

Unser Ziel sind sechs Bohrpunkte entlang einer 24 km langen Strecke über die Bucht. Diese zu erreichen gestaltet sich gar nicht immer so einfach. Zur Durchqueerung der Eisrücken müssen wir regelmäßig nach dem besten Weg suchen, manchmal auch zurücksetzen, es einige Meter weiter wieder probieren, Schwung holen, … An einem Bohrpunkt angekommen beginnt ein schon bald fest eingespieltes Muster. Wir markieren fünf Stellen im Schnee, an denen wir die Eisdecke durchbohren. Dort lassen wir an einer Schnur ein Eislot hinab, um die Eisdicke zu messen. Wissenschaftlich interessant ist dabei auch die Dicke des Plättcheneis, einer mehrere Meter dicken Schicht aus dünnen Eisplättchen unter dem eigentlichen Meereis. Diese entstehen, wenn unterkühltes Schmelzwasser von der Schelfeis-Unterseite aufsteigt und dabei gefriert. Die Grenze dieses Breis lässt sich nur mit Feingefühl durch einen leichten Widerstand beim Einholen des Lotes ertasten – gar nicht so leicht mit dicken Handschuhen. Soll außerdem auf der Fahrt eine Schneeboje ausgebracht werden, ist ein noch größeres Loch als Fundament nötig. Dort wird die Boje verankert und misst daraufhin mit vier Ultraschallsensoren an ihrem Mast die Schneehöhe auf dem Eis.

  • Motorschlitten in der Mittagsdämmerung Anfang Juli. Foto: Markus Baden
  • Eine Eismassenbilanzboje wird auf dem Meereis installiert... Foto: Markus Baden
  • ... und aktiviert. Foto: Markus Baden
  • Bohrung eines Lochs, das zur Aufnahme einer Schneeboje dienen soll. Foto: Markus Baden
  • Bohrung eines Lochs, das zur Aufnahme einer Schneeboje dienen soll. Foto: Markus Baden
  • Bei unter -40°C friert der Atem an Kleidung und Gesicht. Foto: Markus Baden
  • Wir sind kaum zu erkennen unter den Schichten an Kleidung. Foto: Markus Baden
  • Schnüre spannen die Schneeboje seitlich ab. Foto: Markus Baden
  • Anbringen einer Verankerung im Eis. Foto: Markus Baden

Gegen Mittag legen wir eine Teepause ein. Hier gilt es, mit dem Trinken nicht allzu lange zu warten. Wer seine Tasse auf der Alubox vergisst, freut sich schon bald über Eistee. Auch beim Essen gibt es einiges zu beachten. Wir lernen mit der Zeit, welche Schokoriegel Antarktis-tauglich sind und welche nicht. Manche bleiben selbst bei großer Kälte noch essbar, während andere steinhart gefrieren.
Schließlich ist es immer ein besonderer Moment, an Atka24, dem äußersten Bohrpunkt, anzukommen. In 30 km Entfernung zur Station gelegen, wird dieser Ort, außer für unsere Messungen, fast nie von Menschen besucht.

  • Arbeiten mit dem Eislot Anfang September Foto: Jess Buncheck
  • Teepause an Atka24. Foto: Jess Buncheck
  • Sonnenuntergang auf der Rückfahrt zur Station. Foto: Paul Ockenfuss

 

Mittlerweile ist die Polarnacht hier zu Ende gegangen und die Sonne scheint schon wieder über zwölf Stunden am Tag auf das Eis. Unsere letzte Meereisfahrt fand am 08. September an einem der ersten Frühlingstage an der Atka-Bucht statt. Bei strahlendem Sonnenschein und bis zu -20°C am Mittag ist dies kein Vergleich zu den Fahrten in der Polarnacht. Die Eisrücken, welche uns im Juni noch so sehr aufgehalten hatten, sind mittlerweile durch Stürme und Schneezutrag eingeebnet worden. Oft ist es kaum zu glauben, dass dies die selben Bohrpunkte sind, an welchen wir auch in der Polarnacht halt gemacht haben. Auf der Rückfahrt bleibt uns sogar noch Zeit, einige Minuten den Sonnenuntergang zu genießen, bevor wir schließlich mit unseren Schlitten in die Garage der Station rollen. Am Ende dann aus dem Aufzug in die warme Station zu treten, sich aus den unzähligen Schichten Kleidung zu schälen und mit den anderen beim Abendessen den übriggebliebenen Meereis-Tee zu trinken, gehört ebenso zu den besten Momenten einer jeden Meereismessung.


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