Von Carolin Uhlir (UHH) |
Im Gegensatz zu den Atmosphärenforschern, die sich mit dem Geschehen über unseren Köpfen beschäftigen, schauen wir Biologen der Universität Hamburg und des DZMB Wilhelmshaven nach dem Leben, das sich unter unseren Füßen tummelt – unter dem Eis und in maximaler Tiefe auf dem Meeresgrund.
Die ersten Gedanken an die Tiefsee sind geprägt von „da unten kann doch gar nichts überleben“ oder wenn, dann nur „Tiefseemonster“ mit extrem großen oder gar keinen Augen und skurrilen, außerirdisch wirkenden Körperformen. So ganz ohne Licht, mit bis zu 1000 Mal höherem Druck als an der Wasseroberfläche und Temperaturen nahe dem Gefrierpunkt – für uns ein unvorstellbarer Lebensraum. Nach ersten erfolgreichen Beprobungen vor über hundert Jahren war jedoch bereits klar, dass die Tiefsee viel belebter und diverser ist als jemals vermutet.
Das Besondere an der Umwelt im arktischen Ozean ist das, evolutionär betrachtet, junge Alter von 4 Millionen Jahren seit es zu drastischen dauerhaften Temperatursenkungen kam. Die arktische Bodengemeinschaft konnte sich erst vor 13.000 Jahren seit der letzten Eiszeit an die vorhandenen Klimabedingungen anpassen bzw. die Region neu besiedeln.
Die Tierwelt hatte gerade Zeit sich an ihre neuen Umweltbedingungen anzupassen, schon begannen sie sich wieder zu verändern. Seit 1980 wurde erstmals ein andauernder Temperaturanstieg im arktischen Klima festgestellt. Durch höhere Temperaturen verringert sich die Eisbedeckung und die unreflektierte Sonneneinstrahlung erwärmt den Ozean. Die daraus resultierende Folge ist ein insgesamt veränderter Stoffwechsel von organischem Material. Die Herstellung von organischer Substanz durch Algen in der oberen lichtdurchfluteten Wassersäule ist der wichtigste limitierende Faktor für das Leben am und im Meeresboden. Vor allem in der Tiefsee sind die Lebewesen auf die Zufuhr von organischem Material aus küstennahen Regionen und durch abgestorbene Organismen angewiesen.
Die am Boden lebende (benthische) Lebensgemeinschaft wird je nach Größe in Meio-, Makro- und Megafauna unterschieden. Je nach Größenordnung der zu untersuchenden Organismen werden zur Beprobung unterschiedliche Netze und Greifer eingesetzt. Unser Schwerpunkt liegt auf den Bewohnern der Makro- und Megafauna bis zu einer minimalen Größe von 300 µm (0.3 mm). Dazu zählen unter anderem Krebstiere (s. Bild 1), Seesterne, Seegurken, Asselspinnen (s. Bild 2), Muscheln, Schwämme und Würmer.
Zu Beginn nutzen wir das im unteren Schiffsbugbereich angebrachte Echolot EK60, das ununterbrochen unterschiedliche Frequenzen zwischen 18 und 200 kHz aussendet. Je höher die Frequenz, desto kleinere Partikel und Tiere wie Zooplankton können sichtbar gemacht werden. Zum Orten von Fischschwärmen ist ein solches Echolot in der Fischerei unentbehrlich. Da wir unsere Geräte ‚blind‘, also ohne angebrachte Kamera, fahren, können wir die ungefähre Bodenstrukturierung abschätzen und somit Vorkehrungen treffen, wo unsere Geräte eingesetzt werden sollen.
Das besondere Merkmal dieser Polarsternexpedition ist die 14-tägige Drift, durch die das Schiff an einer Eisscholle befestigt eine Strecke mit witterungsabhängiger Geschwindigkeit und Richtung zurücklegt. Diese außergewöhnlichen Beprobungsbedingungen stellen eine Herausforderung für unsere bei eigentlichem Stillstand oder vorher genau definierter Geschwindigkeit eingesetzten Geräte dar. Hierbei spreche ich von einem Großkastengreifer (GKG oder auch Giant Box Corer genannt, s. Bild 3) und einem Rothlisberg-Pearcy Epibenthischen Schlitten (RP-EBS, Epibenthic Sledge, s. Bild 4). Der GKG sticht mit seinem Gewicht von 1000 kg eine definierte Fläche von 50 x 50 x 60 cm aus dem Sediment, sodass quantitative Aussagen getroffen werden können. Insgesamt dauert ein Einsatz bei ca. 1500 m Tiefe 45 Minuten. Doch die eigentliche körperliche Arbeit folgt hinterher: Der an Deck kommende Schlamm wird vorsichtig aufgerührt, sodass das sehr feine Sediment durch eine Siebreihe durchgespült werden kann (s. Bild 5).
Uns blieben liebevolle Kosenamen wie die ‚Modder-Frauen‘ nicht erspart. Der Einsatz des RP-EBS dauert mit 4 Stunden zwar länger, liefert durch das Schleppen hinter dem Schiff jedoch auch eine größere Einsicht in die Artenvielfalt des Benthos und… weniger Modder. Durch das Einsetzen beider Geräte konnten wir 9 Stationen an unterschiedlichsten Stellen unserer Drift beproben.
Die erkenntnisreichen Auswertungen werden in den nächsten Monaten folgen. So lernen wir Schritt für Schritt mehr über das Leben in tausenden Metern Tiefe, dem bis jetzt weiterhin unbekanntesten Lebensraum auf unserer Erde.




