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Zwischen Zufriedenheit und Wehmut

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Von Rita Melo Franco Santos | Aktuell befindet sich das Forschungsschiff Polarstern bei Grönland nahe des 79° Nord-Gletschers. Besonders für Geologen und Ozeanographen ist das Gebiet von großem Interesse, da die Region viele offene Fragen über die geologische Entstehungsgeschichte Grönlands sowie über die Zirkulation von Wassermassen im Nordatlantik verbirgt. Allerdings konnten bisher aufgrund des schwierigen Zugangs zu diesem Gebiet mit ganzjährigem Eis kaum wissenschaftliche Untersuchungen durchgeführt werden. Doch dank guter Eis- und Wetterverhältnisse hatten die Wissenschaftler an Bord des Forschungseisbrechers Polarstern riesiges Glück und konnten erstmals die noch unbekannten Gewässer direkt in Front des Gletschers sowie die dort vorkommenden Meeresprozesse näher untersuchen. Ein Team von Biologen an Bord, zu dem auch ich gehöre, hatte ebenfalls die Möglichkeit in diesen noch unbekannten Gewässern Proben nehmen zu können. So konnten wir unter anderem eine vollkommen unerwartete Zusammensetzung an Zooplankton finden, die uns hoffentlich zukünftig hilft, Meeresprozesse in der Region besser verstehen zu können. Viel Arbeit mit vielen Überstunden liegen hinter uns, aber auch viel Spannendes kam zum Vorschein und ist jede Mühe wert.

Ich bin sooo müde...: Ein gähnender Eisbär Foto: Rita Melo Franco Santos

Ich bin sooo müde…: Ein gähnender Eisbär Foto: Rita Melo Franco Santos

Als Teil des biologischen Teams an Bord im Rahmen des AMICA-Projektes (Arctic Marginal Ice Zone Community Assessment) hatten wir unsere arbeitsreichste Zeit während der dritten und vierten Wochen der Expedition (s. Blogbeitrag von Natalie Prinz). Teile meiner eigenen Dissertation waren in diesem Projekt angesiedelt. Während der PS100-Forschungsreise habe ich mich näher mit der Anpassungsfähigkeit von Copepoden beschäftigt. Copepoden sind kleine Krebse, die weltweit vorkommen und einen Großteil des arktischen Zooplanktons ausmachen. Dazu habe ich zwei verschiedene Experimente durchgeführt, die beide auf die zur Verfügung stehende Nahrung basieren, aber dennoch unterschiedliche Ziele haben.

Das erste Experiment versucht herauszufinden, wie Copepoden verschiedene Arten von Nahrung verdauen. Dazu habe ich Veränderungen in der Zusammensetzung sowie der Häufigkeit von Fettsäuren in Abhängigkeit von der vorhandenen Nahrung untersucht. Mit dem zweiten Experiment sollte untersucht werden wie Copepoden ihre Nahrung nutzen, wozu versucht wurde die Vitalfunktionen wie Atmung, Nahrungs- und Sauerstoffaufnahme sowie Ausscheidungen zu untersuchen. Die Idee dahinter ist eigentlich ganz einfach. Alles, was ein Copepode isst, muss entweder für das eigene Wachstum bzw. die eigene Vermehrung verwendet werden oder aber ausgeschieden werden. Auch hier können die Vitalfunktionen in Zusammenhang mit unterschiedlicher Ernährung gebracht werden, so dass wir herausfinden können, welche Nahrung bevorzugt wird.

Um arktische Copepoden für meine Ernährungsexperimente zu bekommen, nutzten wir ein so genanntes Bongonetz. Dieses Netz wurde auf 50 Meter Tiefe herabgelassen, wo arktische Copepoden häufig vorkommen. Anschließend wurde das Netz dann während der Fahrt wieder hochgezogen, um das Zooplankton zu fangen. In einem gekühlten Container wurden die gefangenen Tiere dann nach Arten sortiert, so dass ich schließlich mit meinen Experimenten starten konnte. Während der Expedition konnte ich insgesamt vier Durchläufe meiner Experimente vollenden, während das Reiseende sich schleichend nähert und wir alsbald unsere Arbeit einstellen müssen, um unsere Geräte wieder einzupacken. Ein gemischtes Gefühl aus Zufriedenheit über die abgeschlossenen Experimente und Wehmut über das Ende der Reise breitete sich langsam in mir aus, als ich meine Arme in einen Eimer voller Seifenlauge tauchte, um ein weiteres von uns verwendetes Gerät, das Multinetz, zu reinigen. Denn 45 Minuten später fischten wir das letzte Mal mit dem Bongonetz nach Copepoden im arktischen Ozean – das Ende meines arktischen Abenteuers nähert sich damit unaufhaltsam.

Sonntags-Blues auf dem Eis... Foto: Rita Melo Franco Santos

Sonntags-Blues auf dem Eis… Foto: Rita Melo Franco Santos

Ich hatte das große Glück Teil der PS100-Expedition sein zu dürfen. Seit Beginn meines Bachelorstudiums habe ich davon geträumt, einmal an Bord des Forschungsschiffes Polarstern sein zu können. Als ich mich Ende 2013 auf eine Doktorandenstelle beworben habe, schien ich meinem Traum wieder ein Stück näher zu sein. Denn im Rahmen des Promotionsstudiums würde es die Möglichkeit geben an einer Polarsternexpedition teilnehmen zu können. Doch erst als ich am 18. Juli meine ersten Schritte an Bord der Polarstern unternahm, wurde mir bewusst, dass mein Traum endlich wahr geworden war.

Während der gesamten Expedition hatten wir gutes Wetter und die Tage und Nächte erschienen mir die schönste aller Zeiten zu sein, doch nur um von noch spektakuläreren Tagen und Nächten gefolgt zu werden. Bereitschaft und Arbeit fast rund um die Uhr können sehr erschöpfend sein, doch sie haben mir auch erlaubt die arktische Einsamkeit während jeder Tageszeit zu erleben. Während der 24 Stunden Sonnenschein im Nordpolargebiet gibt es unglaubliche Farben am Himmel und einige magische Momente. Als das Abenteuer begann, hatte ich nur vage Vorstellungen über das Schiffsleben und die bevorstehende Forschungsarbeit – die damit verbundenen Erfahrungen und Erlebnisse hatte ich sogar vollkommen vergessen. Als eine tropische Spezies (ich bin Brasilianerin) hätte ich meine Erlebnisse und Gefühle der vergangenen Wochen niemals für möglich gehalten – ich habe mich bis über beide Ohren in die Arktis und die Natur verliebt mit all dem Eis, den Eisbären, dem Nebel, dem Wind und den unterschiedlichen Vögeln. Doch gerade das Eis ist es, welches mein Herz höher schlagen und meine Seele entspannen lässt.

Es war eine großartige Reise mit vielen neuen Erfahrungen und Erlebnissen und ich hoffe es war nicht meine letzte. Je näher der 6. September nun kommt, desto trauriger werde ich bei dem Gedanken an das Ende der Reise. Doch viele wundervolle Erinnerungen an all die Leute, die ich neu kennengelernt habe, und die ganzen Sehenswürdigkeiten werden mir erhalten bleiben. Und auch die Vorfreude auf die Ankunft meiner Proben in Bremerhaven tröstet mich, wenn die Polarstern Ende Oktober wieder ihren Heimathafen anläuft, um anschließend die Antworten auf die Fragen finden zu können, die mich erst in das Land der eisigen Träume gebracht haben.

Rita Melo Franco Santos (aus dem Englischen übersetzt von Dennis Köhler)


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