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Das Projekt „Neuromayer“ – Neurophysiologische Veränderungen während Langzeitaufenthalten in der Antarktis

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Seit mehr als sieben Jahren besteht eine enge Kooperation zwischen dem Alfred-Wegener Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung und dem Zentrum für Weltraummedizin und extreme Umwelten Berlin (ZWMB), welches zur Berliner Charité gehört. Was damals als kleines Zweier-Projekt begann, ist inzwischen zu einem internationalen Forschungsvorhaben herangewachsen mit weiteren Partnern wie dem Max-Planck-Institut für Bildungsforschung Berlin, der Ludwig-Maxmilian-Universität München, der University of Pennsylvania, der Harvard Medical School, dem Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) und der National Aeronautics and Space Administration (NASA).

Gemeinsames Ziel dieser Partnerschaft ist, die feldphysiologische Untersuchung von Menschen, die unter extremen Umweltbedingungen wie veränderten Tag-Nacht-Rhythmen, Isolation, Beengtsein und Kälte leben. Diese Studien haben einen besonders außergewöhnlichen Charakter, da sie nicht einer künstlichen Laborsituation entsprechen, sondern eine Untersuchung unter realen Lebensbedingungen ermöglichen. Aus Sicht von Weltraummedizinern gibt es vielfältige Parallelen zwischen einer Überwinterung in der Antarktis und einem Langzeitaufenthalt im Weltraum.

Im Zentrum der aktuellen Studien steht die Untersuchung der strukturellen und funktionellen Anpassung des zentralen Nervensystems und dessen Bedeutung für kognitive Funktionen. Zu ihnen zählen zum Beispiel die Wahrnehmung, die Aufmerksamkeit, die Erinnerung, das Lernen und die räumliche Orientierung. Bei vorangegangenen Untersuchungen hatten wir beobachtet, dass es im Zuge einer Überwinterung zu einer Volumenabnahme des Hippocampus kommt. So heißt eine Region im Schläfenlappen des Gehirns, die für das Arbeitsgedächtnis und die visuell-räumliche Informationsverarbeitung eine entscheidende Rolle spielt.

Diese Veränderungen sind umkehrbar und nur von kurzer Dauer. Man vermutet, dass sie in Zusammenhang mit verschiedenen Faktoren während Langzeitaufenthalten in der Antarktis stehen. Hierzu zählen eine Reihe von Stressoren wie z.B. die Trennung von Familien und Freunden, Beschränkung der sozialen Kontakte, Monotonie und Reizarmut, eingeschränkte Rettungsmöglichkeiten im Winter, eine Abnahme der körperlichen Aktivität, aber auch Einflüsse der Sonnenlichtexposition.

Um diese Faktoren besser zu verstehen, führen wir eine Reihe optimal aufeinander abgestimmter Experimente durch. So werden neben den zentralen Endpunkten der Bildgebung des Gehirns, der Kognition und biochemischer Parameter auch Veränderungen des autonomen Nervensystems und der hormonellen Regulation, des Energieumsatzes, die Körperzusammensetzung und verschiedene Schlafparameter erfasst. Ein weiterer und ganz wesentlicher Bestandteil bei der Aufklärung dieser Zusammenhänge stellen dabei die Untersuchungen der immunologischen Veränderungen durch die Ludwig-Maxmilian-Universität München (Prof. Alexander Choukér) dar – so ist aktuell davon auszugehen, dass bestimmten entzündungsprovozierenden Reaktionen infolge der oben genannten Stressoren eine ganz wesentliche Rolle für die strukturellen Veränderungen des Hippocampus zugeschrieben werden kann.

Die kleine Gruppengröße von neun Personen und der Aufenthalt in der Antarktis machen die Isolation sehr realistisch und nahezu vollständig und stellen gegenüber anderen Weltraum-Forschungsprojekten daher einen entscheidenden Vorteil dar. Andererseits benötig man eine große Anzahl von Proben, um verlässlichere und verallgemeinerbare Ergebnisse zu erhalten. Aus diesem Grund werden die Messungen über eine Reihe von Überwinterungskampagnen fortgesetzt. Gleichzeitig wurden enge Kooperationen mit weiteren Stationen in der Antarktis aufgebaut wie z.B. der britischen Station Halley und vor allen Dingen auch der französisch-italienischen Station Concordia. So werden gemeinsam mit der University of Pennsylvania in diesem Jahr erstmals exakt die gleichen Experimente parallel auf der Concordia und Neumayer-Station III durchgeführt. Damit wird zum ersten Mal auch ein Vergleich verschiedener internationaler Stationen und Überwinterungs-Crews möglich.

Im folgenden sollen einige Messungen kurz vorgestellt werden.

Aktivität (Aktigraphie) und Schlaf-Wach-Rhythmus

Durch die Messung der Bewegung (Beschleunigungssensoren) wird untersucht, ob sich die körperliche Aktivität und das Schlaf-Wach-Verhalten durch den Aufenthalt in der Antarktis verändert.

Ergänzend wird die Schlafqualität mittels eines mobilen miniaturisierten Geräts gemessen, das die elektrische Aktivität des Gehirns erfasst. Eine Veränderung des Schlaf-Wach-Rhythmus bzw. der Schlafqualität kann zu Schlafstörungen, Müdigkeit, Stimmungsschwankungen, verringerte Aufmerksamkeit und Konzentrationsstörungen und damit zu einer verschlechterten körperlichen und kognitiven Leistungsfähigkeit führen.

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Biomarker

Eine Vielzahl von Hormonen und Proteinen (sogenannte Biomarker) sind an der Steuerung verschiedener Lebensvorgänge beteiligt. Diese Substanzen werden durch das Blut transportiert und lösen am Zielort Reaktionen aus. Die Ausschüttung von Hormonen und Proteinen wird dabei meist über sogenannte negative Feedbackschleifen gesteuert. Ein Beispiel dafür ist das Hormon Melatonin, das den Schlaf steuert. Es wird im Gehirn in der Epiphyse gebildet und die Produktion wird durch Licht gehemmt.

Ein weiteres Beispiel für einen Biomarker ist der sogenannte neurotrophe Faktor BDNF (brain derived neurotrophic factor), der eine wichtige Rolle für das Lernen und die Bildung von Nervenzellen spielt.

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Subjektives Befinden und kognitive Fähigkeiten

Die Untersuchung der kognitiven Fähigkeiten beinhaltet die Durchführung einer computerbasierten Testbatterie zur Erfassung der kognitiven Leistungsfähigkeit. Dazu zählen einfache Reaktionstests zur Erfassung der Aufmerksamkeit sowie Aufgaben, die eine höhere kognitive Kontrolle wie z.B. Planung, Problemlösefähigkeiten und die Unterdrückung automatisierter Reaktionen erfordern. Ergänzend werden dabei mittels Fragebögen Stimmungen, Motivation, und das subjektive Befinden untersucht.

Langzeit-EKG

Mittels eines miniaturisierten EKG-Geräte (ca. in der Größe einer 2-€-Münze) wird ein EKG über 24 Stunden aufgezeichnet. Aus diesen Daten können mittels komplexer Verfahren ergänzende wichtige Informationen zur Schlafqualität, aber auch zur Stressbelastung gewonnen werden.

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Und für unsere Kleinen oder die kindgebliebenen großen Leser das Suchbild: Was ist hier falsch? Antworten können unter Kommentare abgegeben werden. Foto: Thomas Schaefer.

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Mit besten Grüßen,

Ihre Neumayer-ÜWIS

(Autorin: Linda Duncker, Ärztin und Stationsleitung, Neumayer-Station III)

 

 

 


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