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Naturgewaltig…

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kann man die vergangenen Wochen hier an der Neumayer-Station beschreiben!

Ich weiß, das Wort „naturgewaltig“ gibt es so nicht in unserer Sprache, dennoch ist es allgemein verständlich und es beschreibt den vergangenen Monat meines Erachtens mit einem einzigen intensiven Adjektiv. So habe ich es als Überschrift gewählt.

Die Antarktis ist ja ohnehin klimatisch schon menschenfeindlich. Sie stellt vielleicht auch deshalb den einzigen Kontinent ohne bekannte Ureinwohner dar. Heute noch ist es einer der Gründe, warum sie so dünn besiedelt ist und man nicht einmal, ohne sich ausreichend vorzubereiten, hier vorbeifliegen kann.

Eisberge voraus!

Man kann uns wirklich nicht nachsagen, dass wir noch keine Eisberge gesehen haben! Bereits auf der Anreise an Bord der Polarstern haben wir diese wie Vorboten aus einer anderen Welt zahlreich bewundern dürfen. Welch ein Geschenk! Und dann haben wir noch die ortsstabilen Eisberge, welche derzeit im Meereis der Atkabucht gefangen wunderschön im nun wiedergekehrten Morgenlicht aufleuchten.

Der riesige Tafeleisberg, der uns Mitte August hier in der Atkabucht besucht, ist dagegen nicht wirklich ein Geschenk. „D30A“ nähert sich küstennah von Osten unserer Bucht und hat eine erstaunliche Gesamtlänge von ca.  70 Kilometer! Vorneweg schiebt sich der fast dreieckige Tafeleisberg „B39“ an der Schelfeiskante vorbei, der deutlich kleiner ist.

Die Neumayer-Station III befindet sich ca. 20 km von der Eiskante des „Nordanlegers“ entfernt auf ca. 200 Meter dickem Schelfeis. Grund genug, um nun in Absprache mit Bremerhaven daraus resultierende Vorsichtsmaßnahmen zu ergreifen. Die Trasse zur Schelfeiskante und das Meereis werden daher zu unserer Sicherheit zeitweise komplett gesperrt, da Rissbildungen im Eis im Rahmen der Passage nicht ausgeschlossen werden können.

Die täglichen Satellitenbilder zeigen uns eindrucksvoll die kollisionsfreie Annäherung der Eisberge bis auf nur 200 Meter (!!) an die Schelfeiskante am 20 km entfernten Nordanleger bevor beide still weiterziehen. Während den Tagen der Eisbergpassage sind jetzt die Ferngläser auf der Station im Dauereinsatz: Über den gesamten Horizont im Norden der Station können wir „D30A“ bis über den Ostteil der Bucht hinaus reichend vom Dach aus als schmales Band erkennen! Einfach naturgewaltig!

  • Satellitenbild 17.08.21 (Foto: ESA)
  • Satellitenbild 18.08.21 (Foto: ESA)
  • Satellitenbild 19.08.21 (Foto: ESA)
  • Satellitenbild 20.08.21 (Foto: ESA)
  • Satellitenbild 22.08.21 (Foto: ESA)

Legende: NA = Nordanleger; NM = Neumayer-Station

Ein Sturm zieht auf

In den Tagen zuvor erleben wir die höchsten Windgeschwindigkeiten, die im Minutenmittel jemals hier dokumentiert wurden.

Als wir als „Neu-ÜWI’s“ hier in der Antarktis im Januar ankamen, empfanden wir das Gehen auf dem Eis bei Windgeschwindigkeiten um 30 Knoten bereits schon als eine Herausforderung. Nunmehr leben wir hier seit über einem halben Jahr und für die meisten unter uns dürften sich bei Windgeschwindigkeiten um 50 Knoten sicher im Gangbild fühlen.

Was wir vor der Passage der Eisberge hier erleben, ist dagegen ein Sturm, der uns doch ordentlich zu schaffen macht. Vom 11.8. an nimmt die Windgeschwindigkeit immer mehr zu und gipfelt dann in der Nacht vom 12. auf den 13.8. mit 94,9 Knoten im Minutenmittel, das sind 175 km/h! Die Einzelböen erreichen sogar 112 Knoten (207 km/h).

Vielleicht hilft es, sich dazu vorzustellen, dass jenseits der 60 Knoten man kaum in der Lage ist, sich auf den Beinen halten zu können. Dieser Sturm entspricht zusammenfassend annähernd einem Hurrikan der Stufe 3!

Wir kommen jedoch glimpflich davon. Niemand wird verletzt und die Sachschäden bis hin zum passageren Totalausfall der von Schnee zugewehten Spuso (Spurenstoff Observatorium) können in interdisziplinärer Gemeinschaftsarbeit zügig behoben werden.

Video: Sturmvibrationen im Hospital am Röntgengerät (Peter Jonczyk)

Video: Sturmerleben in der Ballonfüllhalle auf dem Stationsdach (Peter Jonczyk)

Eisbergabbruch vom Ekströmschelfeis

Ein ca. 53 km langer Eisberg bricht in der Sturmnacht aus dem Ekström-Schelfeis ca. 20 km entfernt von der Neumayer-Station ab. Dies wurde schon länger aufgrund der Satellitenbilder erwartet. Ein immer länger werdender Spalt hatte dies über Jahre hinweg angedeutet und er driftet nun ohne Gefahr für uns nach Westen davon. Mit ca. 370 Quadratkilometern muss man sich diesen Eisberg so vorstellen, dass er halb so groß wie Hamburg erscheint.

GIF: Eisberg Abbruch (Copernicus)

Und zu guter Letzt am Monatsende erreicht unser Stationsthermometer sein bisheriges Rekordtief für diesen Winter mit -47,8° Celsius.

Wir können uns also über den vergangenen August nicht beklagen! Wir dürfen fast die ganze Bandbreite der Naturgewalten in der Antarktis an einem spürbar sicheren Ort wahrnehmen. Dies verstehen zu können erfordert in uns eine Dimension, die für uns Europäer eher ungewohnt ist. Ich persönlich empfinde eine tiefe Demut, wenn ich an dieses Paket von erlebten Eindrücken denke.

Vorsicht: Emotionen

Aber nicht nur wir sind Zeugen dieser Naturereignisse im August. Auch die Küken der Kaiserpinguine riskieren schon einmal einen Blick nach draußen. Vom genannten Sturm bekommen sie aber geschützt in der Bauchfalte der Elterntiere noch nicht viel mit. Diese Jungtiere beobachten zu dürfen bedeutet für mich eines der schönsten Erlebnisse meiner Überwinterung.

Fotos: Kaiserpinguine mit Küken (Tanguy Doron)

Unser nächster Blogeintrag kommt nochmals von Tanguy aus der Küche! Dies nur als appetitanregender Hinweis für unsere treuen Blogleser…

Mit naturgewaltigem Gruß

Ihr / Euer

Peter Jonczyk

Augenblick (Peter Jonczyk)


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