Ein Beitrag von Peter Köhler (Glaziologie).
Das Ziel der Traverse, die deutsche antarktische Sommerstation Kohnen, benannt nach dem Ende der 1990iger Jahre verstorbenen ehemaligen Leiter der AWI-Logistik Heinz Kohnen, ist seit 20 Jahren eine Markierung auf der Landkarte. Die Station – bestehend aus 11 Containern die auf Stelzen über dem Eis stehen – hat eine lange Geschichte hinter sich. In den Containern hat der Bautrupp gehaust, der die Georg-von-Neumayer Station vor vier Jahrzehnten als Vorgänger der NM-III aufgebaut hat. Zwischenzeitlich war sie auf dem Filchner-Schelfeis positioniert und musste dort gerettet werden, da sie auf einem abgebrochenen Stück Eis (= auf einem Eisberg) anfing, über den Südozean zu driften.
Der Hauptgrund für die Positionierung der Station hier bei 75°S, 0°O ist die Erbohrung des EPICA Dronning Maud Land (kurz: EDML) Eiskerns in den nuller Jahren dieses Jahrhunderts. Dieser Eiskern ist mit 2774 m Länge einer der wenigen tiefen antarktischen Eiskerne die es gibt. Mit seinem Eis, das bis ca. 150 Tausend Jahre zurück in der Vergangenheit reicht, wurden unter anderem Veränderungen in der Temperatur dokumentiert, sowie die Anteile wichtiger Treibhausgase, wie z.B. CO2, in der Luft von damals gemessen. Da der EDML-Eiskern für seine Länge jedoch nur einen relativ kurzen Zeitraum abdeckt – der ca. 3300m lange EPICA Dome C Eiskern umspannt 800 Tausend Jahre – sind die Informationen hochaufgelöst verfügbar.
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Wichtige antarktische Eiskerne in einer Abbildung von Eisdicke (Quelle: Thomas Bauska, Cambridge, Eisdicke aus Morlighem et al., 2019) und eine Kompilation aus CO2-Daten (EDML CO2 in hellblauen Kreisen, aus Köhler et al., 2017).
Während die Station im oberirdischen südhemisphärischen Sommerlicht erstrahlt, ist der noch immer vorhandene Drilltrench eine in den Oberflächenschnee hineingefräste unterirdische Struktur. Unter den hölzernen Bodenplatten verbirgt sich noch immer das Bohrloch, dessen Positionierung im Raum, Deformation und auch die Bohrlochtemperatur in unregelmäßigen Abständen nachgemessen werden, um zu lernen, wie sich das Eis weiterhin hier bewegt. Der Trench wird auch benutzt, um autonome Messgeräte zu positionieren, die ganzjährig betrieben werden und Daten zur seismischen Aktivität oder Eisdeformation sammeln.
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Der unter der Schneeoberflächen liegende Trench, in dem der EDML-Eiskern gebohrt wurde. Foto: Peter Köhler
Durch die zentrale Lage auf dem atlantischen Sektor des ostantarktischen Inlandeises ist der an der Station betrieben Flugplatz zudem ein wichtiger Stützpunkt zur Zwischenbetankung, für die die Traverse mehrere Tankcontainer mitgebracht hat. Selbst die für kalte Temperaturen gebauten Pistenbullis benötigen hier und da eine Wartung, wofür hier von den Bullis ein Hügel zusammengeschoben wird, durch den mit einer Schneefräse ein Wartungsgang hereingebastelt wird.
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Pistenbulli-Wartungsrampe im Eis. Foto: Peter Köhler.
In der einen Woche an Kohnen habe ich noch diverse Tätigkeiten an den wissenschaftlichen Messgeräten durchgeführt. Eine neue automatische Wetterstation (AWS) wurde mit Hilfe etlicher Kollegen aufgebaut, und an einer bereits seit 2009 stehenden AWS der niederländischen Kollegen aus Utrecht wurden die gesammelten Daten ausgelesen. Hierzu musste der Zugang zum Gerät, der auf 320cm Tiefe im Schnee liegt, ausgegraben werden. Die dafür notwendige Grube ist an der Schneeoberfläche ähnlich breit wie tief, und mittels Terrassenstufen haben wir uns zu dritt – an einem Tag schweißtreibender Arbeit – bis in die notwendige Tiefe herabgearbeitet. Zum Auslesen der Daten kam ein extra zu diesem Zweck mitgebrachter Computer inkl. Kabeln zu Einsatz. Um den Absturz des Rechners bei hier herrschenden Minustemperaturen zu verhindern, haben wir mit Wärmflaschen und Isolierdecken gearbeitet und den 20min dauernden Ausleseprozesse damit erfolgreich absolviert.
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Links und Mitte: Aufbau der neuen AWI-AWS. Rechts: Datenauslesen der bestehenden niederländischen AWS in 3.20m Tiefe. Foto: Peter Köhler.
Jeah. Mission accomplished.
Dann geht alles ziemlich schnell. Die Probleme in der Wasserversorgung waren just am Vortag erfolgreich behoben worden und nach Abschluss aller mir aufgetragener Arbeiten, beginne ich beim Abrasieren meines 2-Wochen-Traverse-Barts in einen Normalzustand zurückzufinden. Just in dem Moment informiert mich Pepe, der Koch, dass ich mal dringend meine emails lesen soll, weil es die Möglichkeit gibt, dass ich am Folgetag von Kohnen abreisen könnte, gut eine Woche vor dem geplanten Termin. Email lesen ist jedoch so eine Sache bei einer Internetverbindung über Satellit, in der ich mit 8 Handys in Konkurrenz stehe, was in der Regel dazu führt, dass alle anderen ihre Kurznachrichten lesen können, aber ich mangels fehlender Bandbreite nicht in meine email-Box komme. Daher nutze ich zum ersten Mal das Satellitentelefon und schaffe nach einen halben Duzend versuchen auch, mit der Expeditionsleitung auf Neumayer, Christine, ins Gespräch zu kommen und werde über meine Möglichkeiten informiert. Da meine gewünschten Tätigkeiten hier nun beendet sind, wäre ich zukünftig vermutlich bei den anstehenden Renovierungs- und Ausbauarbeiten an der Station eingesetzt worden. Ich entscheide mich für den Heimflug, am 18. Geburtstag meines Sohnes – vielleicht soll das ein Zeichen sein – den ich tags drauf auf via Satellitentelefon erreiche und dem ich herzlich gratulieren kann. Pünktlich am Abreisetag versagt mein Fotoapparat seinen Dienst.
Nun sitze ich nach dem Packen meiner Sachen in der Messe, um diesen letzten Eintrag im Eisblog zu schreiben. Der Rückflug wird einen Dreiecksflug sein. Von der russischen Station Novo kommend werden Tobi, der Pistenbulli-Mechaniker, und ich eingesammelt und nach Neumayer gebracht, wo auf Tobi weitere Arbeiten warten. Dort steigen 4 weitere Sommergäste hinzu und wir fliegen zurück nach Novo, wo der Interkontinentalflug nach Südafrika warten wird. Wann genau, wissen wir nicht. Wie es dann weiter geht, ist angesichts der nun zirkulierenden COVID-19 Varianten auch nicht sicher.
Welcome back to the real world.
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Mit Basler und Ilyuschin einmal quer durchs Dronning Maud Land und zurück nach Kapstadt. Foto: Peter Köhler.
Nachtrag: In 7 Stunden schaffe ich es nach Novo. Dort haben wir nur ca. 6 h Aufenthalt in einem uns zugewiesenen Wohncontainer – beheizt mit ausreichend Zugang zu Nahrung und Getränken in der lokalen Messe (ganz anders als auf dem Hinweg in Wolf’s Fang) und sind nach einer schlaflosen Nacht auf dem Fußboden oder in unbequemen Plastikschalensitzen in der russischen Ilyuschin am nächsten Morgen in Kapstadt. Maske auf, erstmal einen COVID-19 Schnelltest vor der Einreise machen. Beim Warten aufs Personal hierfür emails checken und feststellen, dass unser Weiterflug in 2 Tagen stattfinden wird. Den vor dem Flughafengebäude wartenden Lufthansaflieger nach München müssen wir leider ziehen lassen.
Over and Out.