In den USA überschlagen sich die Ereignisse nach der Amtseinführung von Donald Trump zum Präsidenten. WissenschaftlerInnen befürchten, in ihrer Forschungs- und Redefreiheit beschnitten zu werden, weil die neue Regierung unter anderem offensiv die Ansicht vertritt, der Klimawandel sei nicht real. Die Regierung Trump hat bereits einige alarmierende Schritte unternommen, doch besonders auf Twitter regt sich kreativer Widerstand. Eine atemlose Bestandsaufnahme, die jederzeit von den Ereignissen überholt werden kann.
#WomensMarch in der Antarktis
Die Proteste am Tag nach der Amtseinführung brachten unter dem Hashtag #WomensMarch mindestens einige Hunderttausend Demonstranten in aller Welt zusammen. Auch in der Antarktis, wo meist nur wenige Reisende und Forscher unterwegs sind, gab es solche Aktionen. Das bekannteste Foto zeigt eine Gruppe von Ausflüglern auf einem Schiff im Neko Harbor, am nördlichen Ende der antarktischen Halbinsel:
Pre-march photo! #womensMarchAntarctica ❤️
pic.twitter.com/NaRyZaIvsM
— linda zunas (@lindazunas) January 21, 2017
Doch nicht nur Ausflügler, sondern auch Forscher im Dienst nahmen an den Protesten teil, wie dieser Tweet einer Wissenschaftsjournalistin von der McMurdo-Station am anderen Ende des Pazifik zeigt. Der Tweet erklärt auch, dass sie ohne Schilder auftreten, weil sie diese nicht aus Arbeitsmaterialien hätten herstellen dürfen:
About 95 people at McMurdo Station in Antarctica marched in 13˚ windchill for #WomensMarch. No signs because all supplies are govt property pic.twitter.com/ncc32l7b1z
— Sara Reardon (@Sara_Reardon) January 26, 2017
Wissenschaftliche Freiheit in Gefahr
Schon am Tag der Amtseinführung fiel auf, dass die Trump-Regierung auf ihrer neuen, eigenen Webpräsenz des Weißen Hauses keine Informationen über Klimapolitik mehr bereithielt. Befürchtungen eines radikalen Wandels in der Klima- und Umweltpolitik hatte es seit Trumps Wahl gegeben. So hatte in den Wochen nach der Wahl etwa die Umweltschutzbehörde EPA noch eilig versucht, neue Vorschriften zum Treibstoffverbrauch in Kraft zu setzen.
Eine der ersten Stellen, die in den Fokus der neuen Regierung gerieten, war der National Park Service, der für Nationalparks und Teile des öffentlichen Raums in Washington DC zuständig ist. Vom offiziellen Twitter-Account der Behörde, @NatlParksService, kamen am Tag von Trumps Amtseinführung einige Retweets, die sich über die weit geringeren Teilnehmerzahlen gegenüber der Amtseinführung von Barack Obama lustig machten. Wenig später waren die Retweets gelöscht, und der Account entschuldigte sich:
We regret the mistaken RTs from our account yesterday and look forward to continuing to share the beauty and history of our parks with you pic.twitter.com/mctNNvlrmv
— NationalParkService (@NatlParkService) January 21, 2017
Präsident Trump setzte nach einem Bericht der Washington Post in der Folge sogar persönlich die Führung der Behörde unter Druck, weil deren offiziell herausgegebene Fotos der Feierlichkeiten in Washington DC seiner Meinung nach zuwenige Menschen zeigten.
Der Twitter-Account eines Nationalparks im South Dakota begann daraufhin, Klimawandel-Daten zu twittern:
These climate tweets by @BadlandsNPS have now been deleted. pic.twitter.com/FR1ejcMall
— Nathan Rott (@NathanRott) January 24, 2017
Wenig später wurden auch diese Tweets gelöscht. Es steht zu vermuten, dass nicht nur allgemeine Abneigung gegen den neuen Präsidenten, sondern auch konkrete politische Entscheidungen eine Rolle spielten, etwa eine Entscheidung des US-Kongress, Nationalpark-Land für wertlos zu erklären und damit einer Einverleibung durch die US-Bundesstaaten preiszugeben.
Auch der Umweltschutzbehörde EPA wurden am selben Tag die Twitter-Accounts stillgelegt, kurz nachdem praktisch alle Geschäfte der Behörde von der neuen Regierung eingefroren worden waren.
Nach diesen Maßnahmen gegen die offiziellen Accounts der Behörden tauchten auf Twitter plötzlich „Rogue Accounts“ auf, grob zu übersetzen mit „Rebellische/Wilde/Unkontrollierte Accounts“, deren Erscheinungsbild und Aussagen darauf hindeuten, dass hier Behördenmitarbeiter aktiv sind:
Can't wait for President Trump to call us FAKE NEWS.
You can take our official twitter, but you'll never take our free time!
— AltUSNatParkService (@AltNatParkSer) January 25, 2017
If (when?) the time comes that NASA has been instructed to cease tweeting/sharing info about science and climate change, we will inform you.
— Rogue NASA (@RogueNASA) January 26, 2017
In places where abortions are illegal, just as many are performed, but in more dangerous and life-threatening ways https://t.co/S06lPqHD55
— Alternative NIH (@Alt_NIH) January 26, 2017
Thank you for supporting the EPA. This agency (et al) operates most effectively with transparency. A gag order does not foster communication
— altEPA (@altUSEPA) January 26, 2017
Einige dieser Accounts traten zunächst offensiv mit dem Logo der eigentlichen Behörde auf und bekannten sich dazu, von Mitarbeitern betrieben zu werden. In der Folge unternahmen sie jedoch diverse Schritte, sich in dieser Hinsicht weniger angreifbar zu machen:
Out of an abundance of caution, we've changed our photo to reflect that this is not an official NASA account, nor is it endorsed by NASA.
— Rogue NASA (@RogueNASA) January 26, 2017
To prevent Hatch Act violations, ownership of this account has been given to two people who are not employees of the federal government.
— Rogue NASA (@RogueNASA) January 26, 2017
We have decided to pass over control of this account to individuals outside of government employment for the sake of our colleagues.
— AltUSNatParkService (@AltNatParkSer) January 26, 2017
Es mehren sich auch berechtigte Rufe zur Vorsicht, was die Authentizität der inzwischen zahlreichen Rogue Accounts angeht:
It's awesome to see "rogue" government Twitter accounts, but how do we know if they're fake or real? https://t.co/HX7z4NBcUb pic.twitter.com/fQCGzOsh8g
— Boing Boing (@BoingBoing) January 27, 2017
March for Science
Aus der Twitter-Bewegung für die Redefreiheit wissenschaftlicher Einrichtungen ist auch innerhalb kürzester Zeit die Idee entstanden, Demonstrationen in der Hosenwelt durchzuführen. Das zentrale Vorhaben nennt sich „March for Science“, und hat wie die meisten der Rogue Accounts bereits einige Zehntausend bis Hunderttausend Follower auf Twitter:
It has never been more important for scientists of all stripes to come together and have their voices heard in government.
— March for Science (@ScienceMarchDC) January 25, 2017
If you're just as mad as we are, don't forget about the #ScienceMarch. Together we rise. Together we #resist. https://t.co/pBvVLekWL1
— Rogue NASA (@RogueNASA) January 25, 2017
Ein Datum für die Demonstrationen wird derzeit noch beraten, doch das Interesse ist bereits jetzt groß. Möglicherweise finden sich auch in Deutschland Leute, die für Wissenschaftsfreiheit bereit sind, auf die Straße zu gehen. Willkommen sind alle, ob Wissenschaftler oder Unterstützer:
Some have asked whether non-scientists can march. The answer is: YES! All who believe in empirical science can (and should) march.
— March for Science (@ScienceMarchDC) January 25, 2017
Wie weiter? Lektionen aus Kanada
Die Aufmerksamkeit für die Anliegen der WissenschaftlerInnen ist überraschend und ermutigend, aber wie kann auch institutionell die Freiheit der Forschung sichergestellt werden? Ernüchternde Einblicke in die wissenschaftliche Arbeit unter einer repressiven Regierung liefern Erzählungen aus Kanada vor dem jüngsten Regierungswechsel. Der Autor Michael Oman-Reagan widmete sich kurz nach Trumps Amtseinführung dem Thema in einem langen Twitter-Thread. Auch kanadische „March for Science“-Aktivisten erinnerten an diese Zeit:
Remember when Canadian government tried to muffle scientists?
A Look at Canada's political fight over sciencehttps://t.co/MjVlAwfjO9— ScienceMarchToronto (@ScienceMarchTO) January 26, 2017
Archive und Bibliotheken
Gegen mögliche Löschanweisungen, die Behörden ereilen könnten, hat das Internet Archive dazu aufgerufen, bei der Sicherung von Internetseiten mit wissenschaftlich oder anderweitig relevanter Information zu helfen. Das Internet Archive selbst hat bereits vor einigen Wochen eine Kampagne begonnen, eine Sicherungskopie in Kanada zu errichten.
If you see something, save something. Use Save Page Now to save URLs at https://t.co/qGDMcslRtF pic.twitter.com/AtHn0UhREo
— Internet Archive (@internetarchive) January 25, 2017
Ein Mitarbeiter des Internet Archive demonstrierte in einem Tweet, wie es beispielsweise von der Webseite der Umweltschutzbehörde EPA gelöschte Informationen über den Klimawandel bewahrt:
An epic conservation tale in two acts. https://t.co/EZkFMNFCWx pic.twitter.com/kbgktQRc1E
— Jason Scott (@textfiles) January 26, 2017
Und dann sind da noch diejenigen, deren Hauptaufgabe es ist, Informationen und Fakten zu sammeln, zu pflegen und auffindbar zu halten: Bibliotheken.
The front lines of the Trump resistance are rogue scientists, the National Parks Service, and your local library. (Photo cred: @UTCLibrary) pic.twitter.com/rP9l61zPkm
— Tiffany Brault (@tiffanybrault) January 24, 2017
There's a new sign in the lobby of Olin Library at Cornell U. #librarylife pic.twitter.com/DkWOhup1lz
— Eliza Bettinger (@ElizaBettinger) January 26, 2017
Wie es weitergeht, entscheidet sich ab heute jeden Tag neu in zahllosen Bibliotheken, Büros, Laboren und sogar Twitter-Accounts, nicht nur in den USA, sondern letztlich überall auf der Welt.