Kapstadt: Die Turbinen werden lauter, die Iljuschin schüttelt sich kurz, beginnt zu rollen. Langsam zunächst, dann immer schneller. Die Nase hebt sich, noch haben wir Kontakt zur uns bekannten Welt. Ein kurzes Wackeln und dann: Sind wir weg. Take off – Here we go. Das Bild der Cockpitkamera ist auf den großen Monitor im Passagierbereich der Transportmaschine geschaltet. Aus Sicht der Piloten sehen wir darauf, wie die Ausläufer Kapstadts kleiner werden und das Land endet. Hinter uns bleiben der Tafelberg und mit ihm der ganze Kontinent zurück. Unser Ziel liegt 4200 Kilometer im Süden. Nach ungefähr vier Stunden erreichen wir auf Höhe des 60. Breitengrades das Polarmeer. Die immer dichter treibenden Eisschollen liegen auf dem Wasser wie zerbrochene Teller auf einem indigoblauen Küchenboden. Nach zwei weiteren Stunden erscheint die Schelfeiskante und schließlich die Eispiste der russischen Station Novolazarevskaya („Novo“). Am Horizont stehen die Berge der Orvin Mountain Range unter einem fast wolkenlosen Himmel. Die Landung ist überraschend sanft, kaum wahrnehmbar. Türe auf, Treppe runter, noch ein Schritt und das 37. Überwinterungsteam der Neumayer-Station III ist endlich da angekommen, wo es hingehört: in der Antarktis.
Bremerhaven: Der Weg hierhin war ein langer und er begann nicht etwa an einem deutschen Flughafen. Er begann bereits viel früher. Am 31.07.2016 um genau zu sein. Als nach und nach zwölf sich völlig unbekannte Menschen in der Pizzeria Mamma Mia in Bremerhaven-Lehe eintrafen, um zu sehen, mit wem sie die nächsten 19 Monate verbringen werden.
Im Einzelnen sind das: Unser Ingenieur Ronny Lebrenz. Er kommt aus Ludwigsfelde bei Berlin und ist als Schiffsbetriebstechniker weltweit zur See gefahren. Er und der Elektrotechniker Hannes Laubach aus Kiel werden gemeinsam dafür sorgen, dass Licht, Heizung und Wasser nicht ausgehen und die Technik und der Fuhrpark laufen. Für den technischen Teil der Kommunikation, den Serverpark sowie die verwendete Soft- und Hardware ist unser Informatiker, Funker und IT`ler Daniel Noll aus Stuttgart zuständig. Für kreative Lagerhaltung, die Küche und damit die Moral wird Sven Krüger aus Hamburg zuständig sein. Er hat zuletzt im Spiegel-Verlagshaus als Koch gearbeitet. Dr. Tim Heitland aus München wird als Arzt das Team und eine medizinische Studie betreuen und darüberhinaus als Stationsleiter/Herbergsvater/Hüttenwirt fungieren.
Die Existenz der Station ist dabei selbstverständlich kein Selbstzweck. Ihr eigentlicher Sinn liegt darin, den verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen eine Forschungsplattform zu bieten. Die laufenden Untersuchungen zu Seismologie und Magnetik werden während der Überwinterung von dem Geophysiker Max Merl aus Bretten bei Karlsruhe sowie der Physikerin Ursula Schlager aus Straußberg bei Berlin fortgeführt. Mit Hilfe der gewonnenen Daten können unter anderem Erdbeben sowie Veränderungen im Magnetfeld der Erde detektiert und interpretiert werden.
Für die Meteorologie wird Hauke Schulz aus Hamburg Ozonsondenmessungen und Wetterobservationen durchführen, deren Ergebnisse zum einen in globale meteorologische Modelle, zum anderen in die lokale Wettervorhersage einfliessen. Das Spurenstoffobservatorium und damit die Atmosphärenchemie betreut Dr. Zsófia Jurányi aus Kistótfalu in Ungarn. Sie wird u.a. partikelbedingte Luftveränderungen untersuchen. Als Besonderheit unserer Überwinterung komplettiert mit Will Lawson, Lindsay McCrae und Stefan Christmann ein Kamerateam die diesjährige Mannschaft.
Deutschland/Österreich: Dem ersten Kennenlernen folgte die viermonatige Vorbereitungsphase. Wir wurden in zahlreichen Vorlesungen, Seminaren, Schulungen und Praktika ganz generell auf die Antarktis, unserer Station und Situation sowie auf die Besonderheiten einer Überwinterung vorbereitet. Zusätzlich wurden die Einzelnen in ihren jeweiligen fachspezifischen Aufgaben geschult. Der Arzt hospitierte drei Wochen in der Abteilung für Anästhesie des Krankenhauses Bremerhaven-Reinkenheide sowie drei Wochen in der Zahnarztpraxis Drs. Ortmann in Stotel. Die Techniker wurden u.a. in die Wartung und Reparatur der Blockheizkraftwerke, Windkraftanlage und Pistenbullies eingewiesen und die Wissenschaftler besuchten verschiedene Institute in Deutschland.
Die Tatsache für neun Monate von externer Hilfe abgeschnitten zu sein, lässt neben der Qualifikation im eigenen Fachbereich natürlich auch andere Kenntnisse notwendig werden. Besonders in Erinnerung geblieben sind uns diesbezüglich der gemeinsame „Bergkurs“ und der „Brandschutzkurs“. Anfang August verbrachten wir eine Woche auf dem Taschachhaus im Pitztal und dem Taschachferner, dem dortigen Gletscher. Bewegen im Spaltengebiet, Rettungs- Kletter- und- Seiltechniken standen dort ebenso auf dem Programm wie das Biwakieren im Eis. Es gibt wohl kaum einen besseren und schnelleren Weg, sich kennen und vertrauen zu lernen, als das Seil, an dem das eigene Leben hängt, in die Hände der Anderen zu geben – die erfreulicherweise und in jeder Beziehung gehalten haben.
Klicke, um die Slideshow anzusehen.Im September haben wir eine Woche bei der EAZS, dem Einsatz und Ausbildungszentrum Schadensabwehr, in Neustadt an der Ostsee verbracht. Hier wurden uns unter anderem das Löschen verschiedener Brände, der Umgang mit der Atemschutzausrüstung sowie Such- und Rettungstechniken extrem anschaulich vermittelt und dem Team einmal mehr Gelegenheit zum gegenseitigen Kennenlernen unter Extremsituationen gegeben.
Klicke, um die Slideshow anzusehen.Novo Runway: Aber noch sind wir nicht da. Die letzten 800 Kilometer legen wir in einer Basler, einer umgebauten DC 3, zurück. Flug Richtung Westen, rechts die Schelfeiskante, links die Berge, dann weites Nichts, dann die Station. Wie auf den Tausenden Bildern, die wir gesehen haben. Nur mit dem entscheidenden Unterschied: Diesmal ist sie echt. Schwer zu begreifen und wunderbar. Eine letzte Landung, die Kufen berühren mit einem Zischen den Schnee. Jetzt sind wir wirklich angekommen. Nach einem langen, interessanten, abwechslungsreichen und aufregenden Weg.
Klicke, um die Slideshow anzusehen.Beste Grüße,
Tim Heitland im Namen des 37. Überwintererteams